2. September 2007

Die Vernunft als Heilmittel – Trilog Salzburg 2007

„Vernunft ist die Waage Gottes auf Erden“ (Mohammed al-Ghazzali, 1058-1111) war das Motto des diesjährigen Trilogs, zu dem dem die Bertelsmann-Stiftung, die Salzburger Festspiele und das Wiener Außenministerium 35 Gäste aus 17 Ländern zu Gesprächen in der Salzburger Residenz über „Gelingen und Grenzen interreligiöser Verständigung“ eingeladen hatten.

Den Rahmen dieses Treffens bildete nicht nur die heurige Thematik der Festspiele „Nachtseite der Vernunft“, aber mehr als alles andere das 1999 von Daniel Barenboim und Edward Said gegründete East-Western Divan Orchestra, welches mit Werken von Beethoven, Schönberg und Tschaikowski die Grenzen des Geredes durch die Macht der Musik sprengte.

Das Gelingen eines Dialogs hängt, so stellte es sich heraus, eben nicht von der Vernunft ab, sondern vom Hören ab, eine Wahrheit, die bereits früh im biblischen „Höre Israel“ eingeschrieben ist. Kein Text kann das offene Zwiegespräch zwischen Gott und Mensch und somit auch zwischen Mensch und Mensch ersetzen: die List der Vernunft ist dem Ohr nicht gewachsen.

Die Aufklärung hatte versucht, die Bereiche der Religion, der Wissenschaft und der Kunst voneinander zu trennen und am Anfang des dritten Millenniums stehen wir einerseits an der Schwelle von fast unbegrenzten technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten und Errungenschaften, die aber zugleich die Nachtseite dieser „vernünftigen“ Lösungen aufdecken. Wachsender religiöser Fundamentalismus und Terror sind die äußeren Zeichen einer weltweiten tiefen Verunsicherung. Nach der Christianisierung, der Kolonialisierung und der Globalisierung der Welt sind die stürzenden Türme von Manhattan seit 9/11 in das kollektive Gedächtnis als Menetekel einer man made Katastrophe eingeprägt, und die Frage ist nach wie vor, ob die Vernunft der Aufklärung mit ihrer scharfen Trennung zwischen Wissen und Glauben – an der das aufgeklärte Europa im Holocaust so schmerzhaft gescheitert ist – noch als Heilmittel dienen kann. Für Juden und Muslime ist Religion Kultur und das christliche geprägte Europa hat es bis zum heutigen Tag nicht geschafft, Islam und Judentum zu integrieren.

Konkret ging es im Trilog um die Frage, ob verschiedene Interpretationen des Vernunftbegriffs miteinander in Einklang zu bringen sind, eine Kernfrage des Dialogs zwischen den Kulturen. Wenn Vernunft indertat die Waage Gottes in der Welt sei, dann kann diese nur durch Wissen und Glauben im Gleichgewicht gehalten werden, ein Gleichgewicht, das in der gegenwärtigen globalen Krise der Kultur zerstört ist, mit blutigen Folgen.

Der Hintergrund für die Podiumsdiskussion, Auftakt zum Trilog in der Universitätsaula war ein überdimensionales Bild von Jerusalem, Geburtswiege der drei monotheistischen Religionen, und damit stand selbstverständlich bereits der Kontext des Nah-Ost-Konflikts im Mittelpunkt. Es wurde allmählich klar, dass es in diesem Konflikt „Akteure“ und „Zuschauer“ gibt. Die europäischen Politiker, der frühere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der die Veranstaltung moderierte, Außenministerin Ursula Plassnik und der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer setzten nach wie vor auf die Vernunft. Letzterer bezeichnete die Epoche nach dem Ersten Weltkrieg als ein „Zeitalter der Unvernunft unter dem Banner der Vernunft“, wobei Schüssel und Plassnik die Glaubensfreiheit als vernünftiges Postulat beschworen. Alle beklagten den Mangel an Kooperation, Vertrauen und Kompromissbereitschaft zwischen den streitenden Parteien.

Der Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Ceric, plädierte für die Anerkennung des Islam als kulturelles Erbe Europas und erklärte, dass das Heilige Land nicht einem Volk allein gehöre, sondern alles großen Weltreligionen, wobei Kardinal Walter Kasper, Päpstlicher Rat für Einheit der Christen, betonte, dass man sich heute wieder um den Dialog zwischen Glauben und Vernunft bemühe, im Bewusstsein, dass heute in Europa Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenleben, aber dass man leider zu wenig voneinander wisse...

Ziad Abu-Amr, früherer palästinensischer Kultur- und Außenminister, meinte, dass es falsch sei, Religionen für politische Probleme verantwortlich zu machen. Das Ziel Israels sei die Sicherheit, das der Palästinenser das Recht auf Existenz. Beide Ziele seien miteinander vereinbar. Eine hoffnungsvolle Aussage, die ganz und gar von Maestro Daniel Barenboim bestätigt wurde in seinem Bericht über die israelischen und arabischen Musiker im East-Western Divan Orchestra, „wo man auf das hören muss, was die anderen spielen“.

In der Musik geht es um das Zusammenspiel von Leidenschaft und Vernunft, von Kopf und Herz. Und so hatte ich die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass im Hebräischen das Wort für ‚Kunst’ – Omanut und für ‚Glauben’ – Emunah aus derselben Wurzel stammen, eine Tatsache, die im Wort Amen ins Abendland eingegangen ist.
Eine Bestätigung dafür, dass im biblischen Monotheismus die Kunst eben nicht die Nachtseite, sondern gerade die Lichtseite der Vernunft verkörpert.
Am Abend hatten wir dann im bis zum letzten Platz besetzten Saal des Großen Festspielhauses in Salzburg die Gelegenheit, den Zusammenklang von Vernunft und Glauben zu erleben, wo junge Menschen aus Syrien, Ägypten, Iran, Palästina, Israel, Libanon und Jordanien aufeinander horchten und im Miteinander ihre Instrumente, inspiriert von Barenboim, zum richtigen Klang brachten.

Nach der Ouvertüre Leonore von Beethoven waren die Variationen für Orchester von Arnold Schönberg perfekte Übungen zum Dialog. Aber erst im Finale, in Tschaikowskis Pathéthique, kam alles zusammen, was Israelis und Palästinenser in den letzten Jahrzehnten auskämpfen. Der dritte Satz, eine triumphale Ode an den Frieden, aber das Ende ein Requiem für alle Söhne und Töchter an beiden Seiten, die diesen Frieden leider nicht erleben werden, wenn er endlich kommt...

Eine alte jüdische Legende erzählt, dass alle Gegenstände im Tabernakel für immer gegeben wurden, nur der Schofar für eine Stunde, weil er in jeder Stunde neu geblasen und neu gehört werden soll.

So ist es mein Herzenswunsch, dass das Orchestra im nächsten Jahr zur 60. Jahresfeier des Staates Israel in Jerusalem spielt. Daniel Barenboim und seine Musiker sind bereit, aber die Frage ist, ob es die (politische) Vernunft erlauben wird.

(c) Eveline Goodman-Thau, Jerusalem 2. September 2007